
Nachhaltigkeitspräferenzen in der Nachhaltigkeits-Vermittlerrichtlinie [N-IDD]
Am 02. August 2021 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union die Delegierten Verordnung (EU) 2021/1257 veröffentlicht. Diese tritt 12 Monate nach Veröffentlichung am 02. August 2022 in Kraft. Die DV (EU) 2021/1257 ändert die Richtlinie (EU) 2016/97 vom 20. Januar 2016 – besser bekannt als IDD [Insurance Distribution Directive], dt. Vermittlerrichtlinie, mit den weiteren Delegierten Verordnungen (EU) 2017/2358 und 2017/2359.
Die Änderung der IDD ist eine weitere Verschärfung des ordnungspolitischen Rahmens für Produkthersteller von Versicherungsprodukten und Versicherungsvermittler. Der Notwendigkeit geschuldet, der Welt Finanzmittel und Versicherungsprodukte mit Nachhaltigkeitsfaktoren zur Verfügung zu stellen, die helfen das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abzukoppeln sowie die Netto-Treibhausgasemissionen auf Null zu führen, wird die Assekuranz in die Pflicht genommen Nachhaltigkeitsziele sowie Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden zu berücksichtigen.
Die neue Nachhaltigkeits-Vermittlerrichtlinie [N-IDD] fußt auf den Grundlagen und Definitionsbeschreibungen der Offenlegungs-Verordnung [VO (EU) 2019/2088 - OFF-VO, engl. Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)] sowie der Taxonomie-Verordnung [VO (EU) 2020/852 - TAX-VO].
Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen
Für das Produktgenehmigungsverfahren sowie zur Ergänzung der Vorschriften bezüglich der Produktvertriebsvorkehrungen [ DV (EU) 2021/1257 vom 21. April 2021 zur Änderung DV (EU) 2017/2358 ] müssen Hersteller von Versicherungs(anlage)produkten zukünftig »Nachhaltigkeitsziele« berücksichtigen. Der Katalog der Ziele, die im Sinne der Nachhaltigkeit beschrieben sein können, ist groß. Die Grundlage sind die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 [Sustainable Delvelopment Goals (SDGs)] sowie die Anforderungen aus dem Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums , der die Notwendigkeit von nachhaltigen Investitionen beschreibt.
Nachhaltigkeitspräferenzen: Nachhaltigkeit wird zur Berater-Bringschuld
Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen die »Finanzprodukte« [OFF-VO Art. 2 Abs. 12] verkaufen, müssen zukünftig Kunden befragen, ob und wenn ja, welche »Nachhaltigkeitspräferenzen« sie haben. Damit verbunden ist die Erweiterung der Geeignetheitserklärung [DV 2017/2359 Art. 14] von Versicherungsanlageprodukten gegenüber Kunden. Es ist zu beschreiben, inwieweit die Anlageziele des Kunden mit seinen Nachhaltigkeitspräferenzen erfüllt werden können. Kann dieser Erfüllung nicht entsprochen werden, darf dem Kunden keine Empfehlung abgegeben werden. Entscheidet sich der Kunde, seine Nachhaltigkeitspräferenzen zu ändern, damit ein Produktverkauf stattfinden kann, muss die Kundenentscheidung einschließlich einer Begründung im Beratungsprotokoll niedergeschrieben, also aufgezeichnet werden.
Die Assekuranz steht damit vor einer großen Herausforderung. Kunden, bzw. potenzielle Kunden können bestimmen, dass das Finanzprodukt folgende Nachhaltigkeitspräferenzen erfüllen muss:
- Ökologisch nachhaltige Investition [TAX-VO Art. 2 (1)]
- Nachhaltige Investition [OFF-VO Art. 2 (17)]
- Nachhaltigkeitsfaktoren [OFF-VO Art. 2 (24)]
Blumenstrauß der Nachhaltigkeit
Um die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden einordnen zu können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss eine Einordnung zu den Nachhaltigkeitsbegriffen erfolgen und zweitens muss das Finanzprodukt den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden gerecht werden.
Nachhaltigkeitspräferenz zu Umweltzielen [ ökologisch nachhaltige Investition lt. TAX-VO ]
Ein Kunde darf zukünftig Mindestanteile seiner ökologischen, nachhaltigen Investition analog der sechs Umweltziele der Taxonomie-Verordnung [TAX-VO Art. 9] beschreiben.
Die sechs Umweltziele lt. Taxonomie-Verordnung lauten: (a) Klimaschutz, (b) Anpassung an den Klimawandel, (c) die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, (d) der Übergang zur Kreislaufwirtschaft, (e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, (f) der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
Nachhaltigkeitspräferenz zum ESG-Ansatz [nachhaltige Investition lt. OFF-VO]
Auch kann der Kunde zukünftig eine »Nachhaltige Investition« analog der Offenlegung-Verordnung [ OFF-VO Art. 2 (17) ] beschreiben.
Eine nachhaltige Investition wird durch den klassischen ESG-Ansatz (E = Environment, S = Social, G = Governance) in der Offenlegungs-Verordnung beschrieben. Mit der Nennung von Schlüsselindikatoren wird der ESG-Ansatz untermauert.
Nachhaltigkeitspräferenz zu Nachhaltigkeitsfaktoren [OFF-VO]
Letztendlich kann der Kunde die Präferenz für wichtige nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren einfordern, sowohl auf qualitativer, also auch auf quantitativer Ebene. D.h. der Kunde kann beispielsweise negative Nachhaltigkeitsauswirkungen durch Treibhausgasemissionen (keine Investition in Unternehmen, die nicht 1,5 °C-Konform sind), oder durch Investition in Energieversorger, die ihren Umsatz mit fossilen Rohstoffen erzielen (keine Investition in Unternehmen, die mehr als 10% Umsatz mit fossilen Rohstoffen erzielen) beschreiben, ausschließen oder begrenzen.
Damit hat der Kunde beispielsweise die Möglichkeit den Best-in-Class-Ansatz auszuschließen und kann seine Präferenz zu den wesentlichsten nachteiligen Auswirkungen durch eine Positiv- und Negativ-Liste beschreiben sowie einfordern.
Die wesentlichen nachteiligen Auswirkungen, so genannte Principial Adverse Impacts (PAIs) sind im Indikatorenset des technischen Regulierungsstandards [ RTS - Level II ] zur Offenlegungs-Verordnung (SFDR) verankert. Unterschieden wird zwischen verpflichtenden und freiwilligen Indikatoren.
Für alle Finanzprodukte, die die Nachhaltigkeit beschreiben [Standard-Produkte nach Artikel 6 OFF-VO; Produkte mit ökologischen und/oder sozialen Merkmalen nach Artikel 8 OFF-VO sowie nachhaltige Investitionen mit Zielbeschreibung nach Artikel 9 OFF-VO) müssen mindestens die verpflichtenden PAIs beschrieben und veröffentlicht sein.
Nachhaltigkeitspräferenz und Produktbeschreibung
Es ist eine Unmöglichkeit, jegliche Nachhaltigkeits-Kunden-Präferenz einem Finanzprodukt zuordnen zu können. Dafür ist der Blumenstrauß der Nachhaltigkeit zu den Nachhaltigkeitspräferenzen zu umfangreich. Deshalb wird dringend ein Nachhaltigkeitssiegel für Versicherungs(anlage)produkte benötigt.
Die Vermittlerrichtlinie wird sich im Sinne der Nachhaltigkeit nur umsetzen lassen, wenn es transparente, zuverlässige und einfach nachvollziehbare Produktklassifizierungssysteme gibt. Ob ein einfaches Siegel, wie das »EU-Ecolabel« dafür ausreichend sein kann, ist fraglich. Besser ist ein Bandtacho mit farblicher Abstufung von schlecht bis gut, wie z.B. auch das Label der EU-Energieverbrauchskennzeichnung.
Beratungsprotokoll & Nachhaltigkeitspräferenzen
Die Inhalte der Versicherungsberatung müssen Versicherungsvermittler dokumentieren (§ 61 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 62 VVG ). Im Beratungsprotokoll sind zu erfassen:
- Wünsche und Bedürfnisse des Kunden
- Beurteilung der Inhalte der angebotenen Versicherung gegenüber dem Kunden
- Dokumentation der Beratung (im angemessenen Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und zu zahlender Prämie)
- Begründung aller Ratschläge zu Versicherungsprodukten
Der Versicherungsnehmer (Kunde bzw. potenzielle Kunde) kann auf die Beratung oder die Dokumentation durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten (§ 61 Abs. 2 Satz 1 VVG). Der Versicherungsvermittler muss den Versicherungsnehmer jedoch darüber informieren, dass damit nachteilige Auswirkungen verbunden sind.
Der Versicherungsvermittler muss vollständig Transparent agieren und hat dem Kunden in Bezug auf den beratenen bzw. angebotenen Vertrag mitzuteilen, ob sich sein Rat auf eine ausgewogene und persönliche Untersuchung stützt [ IDD, Richtlinie (EU) 2016/97, Artikel 19 Abs. 1 c) i) ]. Jeder angebotene Vertrag muss den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden hinsichtlich der Versicherung entsprechen [IDD, Richtline (EU) 2016/97, Artikel 20 Abs. 1 Satz 2 ]. Die IDD unterscheidet zwischen Nichtlebensversicherungsprodukten und Versicherungsanlageprodukten. Die Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln von Versicherungsanlageprodukten ergänzt die Delegierten Verordnung (EU) 2017/2359. Zu den Versicherungsanlageprodukten ist die Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen mit Datum 02. August 2022 verpflichtend [ Delegierte Verordnung (EU) 2021/1257 ].
Eingeschränkte Marktübersicht im Sinne der Nachhaltigkeit
Der Versicherungsvermittler hat dem Kunden eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenenVersicherungsverträgen mitzuteilen, sodass eine persönliche Empfehlung dahin abgegeben werden kann, welcher Versicherungsvertrag den Bedürfnissen des Kunden bestens entspricht [ IDD, Richtlinie (EU) 2016/97, Artikel 20 (3) ]. Der Versicherungsmakler kann auf eine eingeschränkte Versicherer- oder Vertragsauswahl hinweisen [ VVG, § 60 Abs. 1 Satz 2 ]. Der Versicherungsmakler mit eingeschränkter Marktübersicht [beispielsweise – eingeschränkte Marktübersicht im Sinne der Nachhaltigkeit] sowie der Versicherungsvermittler, haben dem Versicherungsnehmer mitzuteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage sie ihre Leistung erbringen [ VVG, § 60 Abs. 2 Satz 1 ].
Beratungsprotokoll Nichtlebensversicherungsprodukte versus Versicherungsanlageprodukte
Der Versicherungsvermittler erhält die wesentlichen Informationen für Nichtlebensversicherungsprodukte, die er an den Kunden weitergibt, aus dem standardisierten Informationsblatt zu Versicherungsprodukten [ DV (EU) 2017/1469 ; auch VVG § 4 ].
Für die Beurteilung der Eignung und Angemessenheit von Versicherungsanlageprodukte reicht ein Standardberatungsprotokoll nicht aus. Das Anlageprodukt hat nicht nur den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden zu entsprechen, sondern auch den Anlagezielen. Die Risikobereitschaft des Kunden ist ebenso zu ermitteln und zu protokollieren, wie die finanziellen Verhältnisse und die Fähigkeit, Verluste zu tragen [ DV (EU) 2017/2359, Artikel 9 Abs. 2 ]. Neu ist, dass die Anlageziele auch etwaigen Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden entsprechen müssen [DV (EU) 2021/1257].
Beratungsprotokoll mit Geeignetheitserklärung & Nachhaltigkeitspräferenzen nach IDD
Somit hat der Versicherungsvermittler neben dem Beratungsprotokoll, die Geeignetheitsprüfung über eine Geeignetheitserklärung zu protokollieren [ DV (EU) 2017/2359, Artikel 14 ]. In der Regel sind das Versicherungsanlageprodukte der Schicht III, also fondsgebundene Leben-, respektive Rentenversicherungsverträge für Privatkunden. In der Geeignetheitserklärung müssen enthalten sein:
- ein Überblick über die erteilten Ratschläge
- Angaben, inwieweit die Empfehlung zum betreffenden Kunden passt
- Anlageziele & Risikobereitschaft
- finanzielle Verhältnisse des Kunden, auch hinsichtlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen
- und Kenntnisse sowie Erfahrungen des Kunden bezüglich Versicherungsanlageprodukten
Die Geeignetheitserklärung darf durch den Kunden für den Versicherungsvermittler oder das Versicherungsunternehmen nicht abbedungen werden. Der Versicherungsvermittler ist gesetzlich dazu verpflichtet, eine Geeignetheitsprüfung durchzuführen. Ausnahmen gibt es keine.
Neu ist, dass der Versicherungsvermittler auch eine Antwort dahingehend schuldet, inwieweit die Anlageziele des Kunden erreicht werden, indem seine Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigt werden [ DV (EU) 2021/1257 Artikel 2 Abs. 4 zur Änderung DV (EU) 2017/2359 ].
Keine Produktempfehlung ohne Geeignetheit zur Nachhaltigkeit
Spricht der Kunde Nachhaltigkeitspräferenzen aus, braucht der Versicherungsvermittler das geeignete Versicherungsanlageprodukt im Sinne der Nachhaltigkeit. Hat der Berater oder das Versicherungsunternehmen kein geeignetes Produkt im Portfolio, welches den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden entspricht, ist der Produktverkauf einzustellen.
Lt. Novellierung der IDD wie folgt:
»Ein Versicherungsvermittler oder Versicherungsunternehmen empfiehlt Versicherungsanlageprodukte nicht als den Nachhaltigkeitspräferenzen eines Kunden oder potenziellen Kunden entsprechend, wenn diese Versicherungsanlageprodukte diesen Präferenzen nicht entsprechen. Der Versicherungsvermittler oder das Versicherungsunternehmen erklären ihren Kunden oder potenziellen Kunden, aus welchen Gründen sie dies nicht tun, und zeichnen die Begründung auf.«
Der Versicherungsvermittler oder das Versicherungsunternehmen hat die Möglichkeit mit dem Kunden die Nachhaltigkeitspräferenz anzupassen. Die Anpassung muss ebenfalls aufgezeichnet werden.
Lt. IDD-Novellierung wie folgt:
»Entspricht kein Versicherungsanlageprodukt den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden oder potenziellen Kunden und entscheidet sich der Kunde, seine Nachhaltigkeitspräferenzen anzupassen, so wird diese Kundenentscheidung einschließlich ihrer Begründung vom Versicherungsvermittler oder vom Versicherungsunternehmen aufgezeichnet.«
Die Greensurance Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Leitfaden zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen (IDD) im Rahmen der Geeignetheitsprüfung von Versicherungsanlageprodukten für die Erstellung einer Geeignetheitserklärung im Sinne der Nachhaltigkeit zu erstellen. Gerne gemeinsam mit weiteren NGOs, Verbänden, der Wissenschaft sowie der Assekuranz.
Autor: Marcus Reichenberg | Founder Greensurance Stiftung Für Mensch und Umwelt
Herzlich lade ich Sie ein, mitzumachen bei der »Großen Transformation« der »Nachaltigen Entwicklung«. Sehen Sie die neue Nachhaltigkeits-Vermittlerrichtlinie (N-IDD) als Chance, nicht als Hürde. Die Welt braucht nachhaltige Investitionen und nachhaltige Versicherungsprodukte - ebenso wie eine enkeltaugliche Assekuranz. Machen Sie mit und werden ESGberater - Fachberater für nachhaltiges Versicherungswesen© bzw. ESGberaterin - Fachberaterin für nachhaltiges Versicherungswesen©. Gerne begrüßt Sie die Greensurance Stiftung zur Weiterbildungsinitative. Mehr Informationen unter: https://www.klimastrategen.de/
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